Gedanken zum Nutzen agiler Konferenzen
Nach langer Pause gab es ein Global Scrum Gathering vor Ort. Im Oktober in Lissabon – wow! Zu zweit waren wir dort und zwei weitere Kollegen waren virtuell beim Gathering dabei. Man darf fragen, welcher Nutzen für den Aufwand an Geld und Zeit denn da zurückkommt.
Hier ist meine kurze Antwort:
- Wir haben dort keinen Beratungsauftrag direkt akquiriert, dessen Deckungsbeitrag die Reise finanziert. So ist die Konferenz allerdings auch nicht angelegt.
- Wir haben die “Coaching Clinic” organisiert und selbst darin Menschen gecoacht. Wir haben dieser Form der persönlichen Unterstützung Rahmen und Raum gegeben. Das ist für beide Seiten lehrreich.
- Wir haben ein internationales Treffen von Menschen mitgestaltet, die sich drei Tage lang mit guter Zusammenarbeit beschäftigt haben. Es ist gut, sich vor Augen zu führen, dass gutes Miteinander der Regelfall ist und nicht die Ausnahme.
- Wir haben uns als Personen und mit dem Unternehmen wibas als Mitglied der Scrum Alliance dargestellt und Kontakte gepflegt.
Aber dann ist der Nutzen ja überwiegend bei den Anderen entstanden, oder?
Naja, das sieht nur auf den ersten Blick so aus. Hier kommt die längere Antwort:
Die Abwesenheit von Verkaufsdruck erleichtert Kreatives
Es ist angenehm, auf einer Konferenz mit Menschen zusammenzukommen und über fachliche Fragen fachsimpeln zu können, ohne daraus gleich Geschäft machen zu wollen oder zu müssen. In der entspannteren Atmosphäre eines Nicht-Verkaufsgespräches entstehen eher kreative – auch mal alberne oder verwegene – Denk- und Lösungsansätze, die beiden Seiten weiterhelfen können.
Und während ich mit jemandem über seine Aufgabenstellung diskutiere und eine Herangehensweise vorschlage, generiere ich vielleicht eine Idee, die andernorts auch helfen kann. Mein Idee hat mit der Person und mit Lissabon einen Bezugspunkt. Das ermöglicht Assoziationen und erleichtert das Erinnern. Zwar weiß ich vorher noch nicht, was die Idee wann und wo wirklich auslösen wird, aber sie ist mehr als ein trockener Gedanke am heimischen Schreibtisch.
Coaching kann man gar nicht zu viel üben
In der Coaching Clinic stellen erfahrene Coaches ihre Zeit zur Verfügung, um anderen Teilnehmenden spontan und niederschwellig Coaching anzubieten. Es ist auf dem Gathering kostenfrei, und es braucht für eine Coachingsession nicht viel mehr als einen Menschen mit einer Frage und einen freien Coach.
Diese Sessions anzubieten übt ungemein und lohnt sich für den Coach schon alleine deshalb. Immer wieder kommen ähnliche Themen vorbei und es tut gut, zu bemerken, dass in allen Ecken der Welt “auch nur mit Wasser gekocht wird”.
Gleichzeitig ist jeder Fall individuell, kommt anders verpackt daher und verschließt sich der rezepthaften Lösung. Ich werde als Coach also mit der Nase darauf gestoßen, dass sich Dinge einerseits auf einer gewissen Abstraktionsebene wiederholen, z.B. wer so alles an einem Team herumcoacht. Andererseits sind die Fragen im Detail aber doch so unterschiedlich, dass ich meine Aufmerksamkeit gut beieinander haben muss, um auf den Anderen angemessen eingehen zu können. Das immer Gleiche zeigt sich immer wieder neu. Weshalb jedes Coachingschema, so nützlich es als Geländer anfangs sein mag, im weiteren Verlauf des Coachings hindert und dem freieren und zielgerichteten Gespräch Platz macht. Das gelingt mal besser und mal richtig gut und eine Coaching Clinic ist dafür ein Übungsfeld …
Scrum Alliance ist auch ein Unternehmen
Mein Blick auf die Scrum Alliance war bisher davon geprägt, dass sie Zertifikate gegen Geld ausspuckt. Über den Sinn und Nutzen von Zertifikaten kann man durchaus geteilter Meinung sein. Wer mit der Scrum Alliance verbandelt ist, gehört jedoch sicher eher zu der Gruppe, die Zertifikaten Qualifikationsnachweis und Marktdifferenzierung zuerkennt.
Ich hatte vor dem Gathering keinen Gedanken darauf verwendet, dass die Scrum Alliance ein Dienstleistungsunternehmen ist. Es wird getragen von Mitarbeitenden und noch mehr von zertifizierten Trainer:innen und Coaches. Diese arbeiten einer nicht so leicht zu definierenden Zielgruppe zu, und das in einem gar nicht so trivialen zu fassenden Geschäftsmodell. Jetzt mit neuem Chef kommen Diskussionen über Ausrichtung hoch. Das finde ich spannend, weil es mir die Scrum Alliance lebendig und greifbarer macht. Für uns bei wibas ist die Diskussion über das Geschäftmodell auch deshalb spannend, weil es eine Schnittstelle zu unserem eigenen Geschäftsmodell hat. Und zum Jahreswechsel stehen Strategiegespräche für 2023 an.
Fazit
Ich ende mit einer Paradoxie: Ich bin überzeugt, dass die Teilnahme am Gathering Netzwerk bildet, Marken stärkt, Wissen teilt, Werkzeuge verprobt, Dienstleister präsentiert. Aber all das gelingt nur ohne es zu übertreiben. Kein:e Teilnehmer:in mag sich als reines Zielobjekt von Marketing, Sales und Selbstdarstellung erleben.
Wir müssen also so zum Gathering hingehen, als hätten wir nix vor außer gute Gespräche zu führen. Um den Anderen unsere Anknüpfungspunkte zu zeigen, aus denen Gemeinsames entstehen kann. Das ergibt dann vielleicht ein Netz, das trägt.