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Besser führen und leichter lernen dank Mentoring

Als ich meine erste Stelle mit Führungsverantwortung antrat, hatte ich keine Ahnung davon, was auf mich zukommen würde. Natürlich hatte ich Führung schon erlebt. Ich hatte selbst in Projekten temporär und situativ Verantwortung übernommen. Aber so ganz und gar, den vollen Arbeitstag lang war das völlig neu.  

Entsprechend wurde ich überwältigt vom Tagesgeschäft des Führens. Ich musste es parallel zum Ankommen in der neuen Firma bewältigen. Gleichzeitig lernte ich die Menschen, die Branche und die Produkte kennen. 

Einarbeitung 

Ich wurde eingearbeitet: Abteilungsrundlauf. Regeln, Abläufe, Gebräuche. Dokumente, Dienstwege und Parallelwege. Und dann wurde mir klar: ich brauche jemanden, der mir hilft, meinen eigenen Weg hier durchzufinden. Jemanden, der nicht meine Ziele festsetzt und der nicht über mein Gehalt entscheidet. Der aber weiß was gilt und geht. Kurz, ich habe mir einen Mentor gesucht. Die Person habe ich schlicht nach Sympathie und vermutetem Standing in der Firma ausgewählt und gefragt. Das war im Nachhinein einer der klügsten Schachzüge in meinen ersten drei Jahren als Führungskraft. 

Mentoring spielt eine zentrale Rolle in der Ausbildung und Weiterentwicklung von Führungskräften. Darin sind sich Literatur und Forschung seit Jahren ziemlich einig, siehe z.B. das „Handbook of Mentoring at Work“. Auch in den Biografien von erfolgreichen Staaten- und Unternehmenslenkern tauchen Mentoren auf. Immer geht es darum, von der Erfahrung des Mentors direkt zu profitieren und an der Auseinandersetzung mit den vom Mentor aufgeworfenen Fragen zu wachsen. In den formalisierten Entwicklungspfaden für Führungskräfte in der Geschäftswelt begegnet einem das Mentoring jedoch seltener.  

Formale Weiterbildung 

Als Nachwuchsführungskraft nahm ich an der konzerneigenen Führungsausbildung teil. Die war nach allen Regeln der Kunst gestaltet und gelungen. Sie war abwechslungsreich, behandelte moderne Führungsmodelle, war interaktiv. In Projekten bearbeiteten wir Führungsaspekte in anderen Abteilungen, die Pate standen. Und doch war ein großer Abstand zur erlebten Realität. 

Vor allem mein Mentor half mir durch endlose und scheinbar widersinnige Management Meetings. Wir sprachen über Fremdscham, Ärger und Verwirrung. Er gab mir Tipps, wann Reden besser ist und wann Schweigen, wem ich wie begegne, und wo die Fallen sind. 

Aufwand für Mentoring 

Ausgehend von dieser Erfahrung verstehe ich nicht, wie man Mentoring für zu aufwändig oder teuer halten kann.  

Einer angehenden Führungskraft als Mentor zur Seite zu stehen, kostet Zeit – klar. Mentoring ist eine Investition, die noch dazu von jemand besonders Teurem und Wertvollem erbracht werden muss. Diese Kosten kann man scheuen, wenn es gerade wichtiger erscheint, dass der Mentor selbst Geschäfte abschließt, Kunden betreut oder sonst im Sinne des Unternehmens wirksam ist. Potenzial in Menschen zu entwickeln kann jedoch ebenfalls einen hohen ROI haben. 

Risiko Mentoring 

Nicht alle Kollegen fanden es gut, dass ich einen Mentor hatte.  

Mentoring riecht leicht nach offiziell abgesegneter Günstlingswirtschaft. Es kann der Eindruck entstehen, dass eine „Seilschaft“ oder gar ein Netzwerk eingerichtet wird, unter dem Andere leiden, weil sie seine Vorteile nicht genießen. Das basiert zwar auf einer falschen Sicht von Mentoring. Aber schon der Eindruck, dass Mentoring zu Asymmetrie führen könnte, ist Gift in der Unternehmenskultur – es sei denn, die Kultur besteht ohnehin aus Hauen und Stechen. Dagegen hilft Offenheit und Zugang zu Mentoring für alle.

Mentoring als Nicht-Prozess 

Das Personalwesen war an meinem Mentoring gar nicht beteiligt. Mein Mentor hat sich die Zeit für mich genommen und Freude daran gefunden, mich zu unterstützen. Eine offizielle Rolle war das Mentoring nicht, es wurde meines Wissens weder honoriert noch bedankt. 

Vermutlich erschwert das Prozessdenken in HR die Beschäftigung mit Mentoring. Ein Mentoring ist sehr individuell und lässt sich schlecht in einen HR-Ablauf pressen. Überhaupt gibt es im Mentoring außer dem Finden eines Mentors und dem Vereinbaren der Mentoringbeziehung keine nennenswerten verallgemeinerbaren Schritte. Im Gegensatz dazu bietet eine mehrgliedrige FK-Ausbildung mit Zertifikat, mit Durchführung in Modulen, Teilzielen und Leistungsnachweisen gut zähl- und messbare Ergebnisse.  

Es sind möglicherweise also der Aufwand, die Sorge um empfundene Ungerechtigkeit und die Individualität des Mentorings, die diesem Ausbildungselement den ihm gebührenden Stellenwert nehmen.  

Nutzen von Mentoring 

Aus meiner Erfahrung spricht viel für Mentoring: 

Mentoring schult emotionale und soziale Kompetenzen in einer vertrauten persönlichen Beziehung. Es ergänzt damit die praktischen, rationalen und kommunikativen Kompetenzen, die Gegenstand der klassischen Führungskräfteausbildung sind. Das Reflektieren und Besprechen der eigenen gefühlsmäßigen Auf- und Abbewegungen in neuer Verantwortung schafft Stabilität bei äußerer Dynamik. Platz ist auch für das Besprechen persönlicher Taktik. Vor dem Erfahrungshintergrund des Mentors und auf dem Boden der geteilten Unternehmenskultur entsteht Raum für moralischen Abgleich und die Ausbildung der eigenen Führungshaltung. 

Das erste Team, das ich zu führen hatte, umfasste gut 40 Mitarbeitende. Die waren 300 km weit weg an einem anderen Standort und hatten einen erfahrenen, lokalen Chef. Meine Führungsspanne war also 1:1 und ich durfte „remote“ schon mal üben, lange bevor Covid-19 uns das allen aufgezwungen hat. Er und ich haben diese Situation zusammen gut hinbekommen.  

Heute denke ich, dass ich zeitweise mehr Mentor für ihn war als Vorgesetzter, denn ich habe meine Eindrücke aus der Führungsarbeit in der Zentrale mit ihm diskutiert. Das operative Führen hatte er aufgrund seiner Erfahrung schon besser drauf als ich.

Lehrend Lernen

Mein eigener Mentor wurde später mein Chef. Auch nach meinem Weggang hatten wir noch lange Jahre Kontakt. Ich glaube, dass sich das Mentoring auch für ihn „gelohnt“ hat. 

Mentoring bedient einen Aspekt der Weiterentwicklung, der für andere Werkzeuge schwer zu erreichen ist. Es lernen nämlich beide dabei. Zwar soll der weniger Erfahrene vom Erfahrenen lernen. Der Nutzen entsteht aber im Dialog und auf beiden Seiten. So wie in der Partnerarbeit beim Referat in der Schule. Oder wie beim Pair Programming in IT-Teams, so ist das Mentor-Mentee-Duo in der Führungsarbeit ein Lernteam.  

Absicht und Vereinbarung sind, dass der Mentee sich vom Mentor Hilfe holt. Der Mentor jedoch, der „weiß, wie’s geht und hier läuft“, wird durch die Fragen des Mentees veranlasst, seine eigenen Erfolgsmuster auf Übertragung zum Mentee zu durchdenken. Dabei betrachtet er sich selbst und das eigene Handeln aus anderer Warte. Im Dialog darüber bereichert das Mentoring beide Beteiligten.  

Reziprokes Mentoring

Diese Argumente führen mich zum Vorschlag des doppelten Mentorings: Wegen seiner Wirksamkeit und der internen Verfügbarkeit sollte Mentoring besser etabliert und damit alltäglicher werden.

Die Führungskraft, um deren Mentoring es geht, sollte selbst gleichzeitig Mentor für jemand anderen im Unternehmen sein. Dieses Konzept folgt der Idee, dass derjenige am besten lernt, der es selbst wem beibringen muss.  

Wer als Führungskraft also lernbereit und reflektiert werden will, darf nicht nur Mentoring genießen, das ihm zuteil wird. Er darf selbst die eigenen Erfahrungen an jemand weniger Erfahrenen weitergeben. Damit schließen sich Lernschleifen. Es balanciert das Lehren und Lernen, so dass Perspektivwechsel souveräner gelingen.  

Eine glückliche Kombination aus eigener Initiative und fremder Unterstützung haben mich ein Mentoring erleben lassen, von dem ich erst später die inneren Zusammenhänge auch theoretisch verstanden habe. Ich mache sie jetzt zum Gegenstand der Führungsausbildung. Mein Eintreten für Mentoring ist geprägt von der eigenen guten Erfahrung. Bei Führungskräften, die ich später beraten habe, hat sich der positive Effekt von Mentoring bestätigt.  

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